„Saturday Night Pandemic Style“ von Ilvy Njiokiktjien

Im Vordergrund des Fotos stehen zwei Männer. Der Mann auf der rechten Seite hat einen blaugefärbten und glitzernden Vollbart. Sein Gesicht ist um die Augen herum kunstvoll bemalt. Er trägt eine gold-schwarz gemusterte Jacke und auf dem Kopf ein Spielzeug-Geweih aus Plastik.

Links von ihm steht der andere Mann. In seiner rechten Hand hält er ein Getränk. Auf dem Kopf trägt er lange, mit Pailletten bestickte Hasenohren. Seine Augen sind von einer Sonnenbrille bedeckt, auf seiner Stirn erstreckt sich ein Regenbogen von einem Auge zum anderen. Seine Arme sind mit Tattoos übersät und an seinem rechten Handgelenk funkelt ein breiter goldener Armreif.

Die beiden stehen im Wohnbereich ihres Hausbootes in Utrecht (Niederlande). Da durch das Fenster über ihnen kein Licht einfällt, ist es vermutlich Nacht. Die Lampen im Raum, die Holzvertäfelung an der Decke und die üppigen Zimmerpflanzen schaffen eine entspannte und einladende Atmosphäre.

Sie stehen vor einem aufgeklappten Laptop, als wären sie Teil einer Videokonferenz. Man kann das Display des Laptops zwar nicht sehen, aber es beleuchtet die Gesichter der beiden. Der Mann mit dem blauen Bart steht direkt vor dem Display und hält mehrere aus Papier ausgeschnittene bunte Zeichentrickfiguren in das Display. Im Schein einiger Lampen und des Computerdisplays blicken zwei Männer engagiert und begeistert auf den Bildschirm. Sie wirken, als würden sie sich prächtig amüsieren.

Aber es war keine einfache Zeit auf der Welt. Dieses Foto wurde im April 2020 aufgenommen und trägt den Namen „Saturday Night Pandemic Style“. Ich glaube, dass es die Anpassungsfähigkeit und die Stärke des menschlichen Geistes inmitten einer der dunkelsten Zeiten unserer Geschichte zeigt.

Die Niederlande befanden sich mitten in der ersten Welle der Coronavirus-Pandemie und seit März 2020 galten strenge Richtlinien zum Social Distancing. Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen wurden auf absehbare Zeit geschlossen, ebenso wie Cafés, Bars, Restaurants, Sportvereine, Saunas und Coffee Shops. Die Straßen waren menschenleer – der öffentliche Raum war tabu. Das Land befand sich im Auge des Sturms.

Dieses Bild habe ich im Rahmen eines Auftrags für die New York Times aufgenommen. Ich dokumentierte die unterschiedlichen Arten, wie die Menschen ihre Samstagabende verbrachten, während die Pandemie uns alle zwang, zu Hause zu bleiben, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern.

Am Abend des 11. April 2020 begann ich damit, Studierende zu fotografieren, die trotz Lockdown in ihren Zimmern feierten. Später besuchte ich dann das Paar auf ihrem schönen Hausboot und hielt diesen magischen Moment kurz nach Mitternacht mit meiner Canon EOS 5D Mark IV fest.

Sie heißen Ivo Verburg und Pepijn Zwanenberg und sind beide in ihren Fünfzigern. Ivo ist der Mann mit dem Regenbogen auf der Stirn, und Pepijn trägt den glitzernden Bart. Als ich an Bord ihres Hausbootes in ihr Wohnzimmer ging, feierten sie dort online mit vielen anderen Leuten aus unterschiedlichsten Regionen. Es hat enormen Spaß gemacht, mitzuerleben, wie sie einen so fröhlichen Samstagabend verbrachten und sich gleichzeitig an das Social Distancing hielten.

Die Party heißt „Cruise Corona“ und wird von Cruise Control Queerparty organisiert, die diese Veranstaltungen normalerweise alle zwei Monate in Utrecht austrägt. Diese Partys begannen im Jahr 2001 vor mehr als 20 Jahren, und Pepijn ist einer der drei DJs in dieser Gruppe.

Zusammen mit den beiden anderen DJs, die zu diesem Zeitpunkt alle bei sich zu Hause waren, stellte er eine Playlist für ein Cruise Corona-Event zusammen, das sich von allen anderen Veranstaltungen unterscheiden sollte.

Ich glaube, dieses Bild hilft zu verstehen, was diese schwierige Zeit für uns bedeutet.

Es ermutigt uns, die Pandemie nicht nur als Ausnahmesituation zu sehen, sondern auch als eine Zeit der Veränderung. Trotz der Regeln, die körperliche Kontakte untersagten, kamen die Menschen auf diese neue und spannende Art und Weise zusammen. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Pandemie uns gezwungen hat, über den Tellerrand zu schauen und selbst aus der schlimmsten Situation das Beste zu machen.

Für mich ist das nicht nur ein Foto von einer Party. Es steht sowohl für die Beständigkeit aber auch für die Flexibilität der Menschen angesichts solch widriger Umstände. Es zeigt, wie neue Ideen geboren wurden, wie unsere Kreativität und Technologie uns geholfen haben, die Art und Weise zu verändern, wie wir arbeiten, zusammenkommen, miteinander umgehen und sogar feiern. Dieses Foto zeigt, dass man auch in schwierigen Zeiten Spaß haben kann. Selbst eine einmalige globale Pandemie konnte die Menschen nicht davon abhalten, Spaß zu haben.

Dieses Foto ist besonders für mich, weil es bei mir ein nostalgisches Gefühl auslöst. Ich bin in einem Hausboot aufgewachsen, das dem von Ivo und Pepijn ganz ähnlich ist: Man muss ein paar Stufen in den „Bauch“ des Bootes hinuntergehen.

Ich möchte mit diesem Foto nicht nur die anhaltende Zuversicht der Menschen während der Pandemie zeigen, sondern sie auch auf eine andere Art und Weise inspirieren. Ich hoffe, dass die Beziehung von Ivo und Pepijn – wie nahe sie sich stehen, wie viel Spaß sie haben und wie sehr sie sich lieben – die LGBTQI-Community in den Ländern ermutigt, in denen die Akzeptanz von Beziehungen dieser Art noch längst nicht selbstverständlich ist.

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