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Nick Nichols über die Ethik bei der Inszenierung von Naturaufnahmen

A Northern spotted owl in flight, shot by wildlife photographer Michael Nichols
Nordischer Fleckenkauz, Humboldt County, Kalifornien, 2008; von A Wild Life (Aperture, 2017) © Michael Nichols/National Geographic Society

„Wollen Sie Ihre Fotos als real oder fingiert darstellen?“ Michael „Nick“ Nichols, Canon Master und ehemaliger Berichterstatter bei National Geographic, hat eine klare Meinung zur Idee der Manipulation von Naturaufnahmen: „Meine ganze Motivation besteht darin, Bilder zu machen, die so real und natürlich wie möglich sind.“

Die Manipulation von Bildern ist nicht nur ein theoretisches Problem, sondern kann auch eine reale Auswirkung auf die Existenz eines Fotografen haben. Nancy Black, Biologin bei der US-Marine hat eine Geldstrafe in Höhe von 12.500 $ bekommen, weil sie bei einem Videodreh einen Schwertwal gefüttert hat.

Nichols hat im Laufe der Jahrzehnte einige technologische Änderungen miterlebt, die die Fotografie verändert haben. Seine Arbeit wird auf einer Ausstellung am Stand von Canon beim Festival des Fotojournalismus Visa Pour l’Image 2017 in Perpignan, Frankreich, geehrt. Er erzählt uns dennoch, dass das Herzstück seiner Mission, die „Wahrung der echten Natur“ gewesen ist ...

The chimpanzee Whiskey, chained in a garage in Burundi, photographed in 1989 by Michael Nichols
Der Schimpanse Whiskey, angekettet in einer Garage, Bujumbura, Burundi, 1989; von A Wild Life (Aperture, 2017) © Michael Nichols/National Geographic Society

Haben Sie bei Naturaufnahmen einen Moralkodex?
„Ich glaube schon, da ich nicht als Naturfotograf, sondern als Fotojournalist angefangen habe. Ich hatte dieses Konzept, dass du deine Arbeit immer offenlegen können musst und es nichts gibt, das du verbergen kannst. Wenn du für National Geographic arbeitest, hast du einen Herausgeber, der die 100-jährige Glaubwürdigkeit des Unternehmens aufs Spiel setzt, wenn er deine Arbeit veröffentlicht. Daher kommt das Thema bei der Bearbeitung und Erstellung auf jeden Fall zur Sprache. Mir persönlich ging es immer um die Offenlegung: Könnte ich der ganzen Welt erzählen, wie ich diese Fotos gemacht habe? Ich konnte mir es einfach nicht vorstellen, etwas zu machen, für das ich nicht einstehen konnte.“

Was ist die treibende Kraft hinter Ihrem Wunsch nach Authentizität?
„Bilder zu machen, die so real und natürlich wie möglich sind. Ich möchte mein Motiv nicht zähmen, weil man keinen Tiger oder Leoparden zähmen kann. Der Gewöhnungsprozess und das Zähmen sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Zähmen ist eine ganz andere Welt.“

A camera-trap photograph with a Canon 1DX of the tiger Bachhi, in Bandhavgarh National Park
Der Tiger Bachhi (Kamerafalle), Bandhavgarh Nationalpark, 1996; von A Wild Life (Aperture, 2017) © Michael Nichols/National Geographic Society

Einen Köder zu benutzen, um eine Eule anzulocken, ist gängige Praxis. Wo ziehen Sie die Grenze?
„Wenn ich für die Aufnahme eines Bartkauzes eine Maus verwenden würde, wäre dies noch im Rahmen. Doch ich würde niemals den Eindruck erwecken wollen, dass meine Reflexe so ausgezeichnet sind und ich so ein unglaublicher Naturfotograf bin, dass ich spontan eine Aufnahme machen könnte, wenn ich auf einen Bartkauz treffe, der gerade eine Maus fängt. Die Genauigkeit dieser Bilder weckt in mir den Verdacht, dass sie die Maus dahingelegt und sich darauf fokussiert haben. Ich glaube, dir muss ganz bewusst sein, wie deine Arbeit wahrgenommen wird.“

Die Manipulation scheint so weit verbreitet zu sein, wie nie zuvor. Was ist akzeptabel?
„Du kannst ein Pixel nicht einfach bewegen. Die Fotografie sollte die Realität und keine Fantasie darstellen. Wenn du Drucke haben möchtest, dann willst du Schärfentiefe. Dementsprechend brauchst du Tonungen, Kontraste und Farbsättigungen. Aber es sollte alles noch im Rahmen liegen, um den Tag so darzustellen, wie er tatsächlich ausgesehen hat. Wenn der Himmel bedrohlich wird, es an diesem Tag aber kein Gewitter gab, hast du die Grenze überschritten.“

Fotografie sollte die Realität und keine Fantasie darstellen.

Warum haben Sie einen robotergesteuerten Mini-Panzer benutzt, um die Löwen im Serengeti-Nationalpark zu fotografieren?
„Ziel war es, die Löwen nicht zu stören. Wir haben den Mini-Panzer genau zwischen den Löwen platziert, als sie geschlafen haben. Die Tiere haben ihn überhaupt nicht bemerkt. Möchtest du, dass die Tiere interagieren oder einfach nur ihre Sache tun? Ich habe keine Bilder veröffentlicht, auf denen die Löwen ganz neugierig auf das Gerät reagierten, weil es nicht unser Ziel war.“

Glauben Sie, dass die Technologie die ethischen Grenzen der Naturfotografie verwischt hat? 
„Die Technologie ermöglicht uns die Aufnahme von intimeren Fotos, ohne dabei in Konflikt mit der eigenen Ethik zu kommen. Du kannst die Technologie verwenden, um den Fotos einen stärkeren Eindruck zu verleihen.“

An infrared non-visible photography of the lion C-Boy in Serengeti National Park
C-Boy (aufgenommen im unsichtbaren Infrarotlicht), Serengeti-Nationalpark, 2012; von A Wild Life (Aperture, 2017) © Michael Nichols/National Geographic Society

Was halten Sie von Ökotourismus und Fotosafaris?
„Das Geschmackloseste, was man tun kann, ist während der Tierwanderung an den Fluss Mara zu gehen, weil es keine Kontrolle darüber gibt, wo die ganzen Autos stehen. So wird ein Gepard von Menschen umgeben und kann nicht jagen, und ein Gnu kann den Fluss nicht überqueren, da es vor den Fahrzeugen erschrickt. Hier sollte es Einschränkungen geben.“

Was waren die nützlichsten Fortschritte bei der Kamera- und Objektivtechnologie?
„Verbundwerkstoffe. Die Verbundwerkstoffe meines Rotholzbaums sind ein gutes Beispiel: Man konnte dieses Bild zu Zeiten der Filmkamera nicht machen. Zu Beginn meiner Karriere, als es hauptsächlich Schwarz-Weiß-Fotografie gab, hat sich mein Stil durch die Beschränkung meines Films entwickelt. Die Technologie sollte einfach nur vorhanden sein, damit ich mir einen kreativen Weg ausdenken kann, um diese einzusetzen. Da die Sensoren empfindlicher geworden sind, muss ich nicht mehr so oft Stroboskope benutzen. Die Geschwindigkeit des Motorantriebs ist mittlerweile so hoch, dass man schon quasi Filme macht. Heutzutage sind uns keine Grenzen gesetzt.“

A camera-trap photographer of a crocodile’s tail in Zakouma National Park
Krokodil (Kamerafalle), Nationalpark Zakouma, Tschad, 2006; von A Wild Life (Aperture, 2017) © Michael Nichols/National Geographic Society

Ich versuche die Fotos so interessant wie möglich zu machen, ohne sie dabei zu verändern.

Was ist die Botschaft Ihres neuen Buchs A Wild Life, A Visual Biography of Photographer Michael Nichols?
„Du kannst deinen Traum leben, egal wo du herkommst. Ich komme aus armen Verhältnissen, ich träumte, und der Traum wurde wahr: Liebe, Arbeit und die Mission.“

Wer sind Ihre Lieblings-Ethik-Fotografen?
„Steve Winter, der bei seinem Thema bleibt und immer einen Weg findet, um das Unmögliche zu schaffen. Seinen Durchbruch bei National Geographic schaffte er mit Jaguaren. Auch nach 20. Jahren fotografiert er sie immer noch und erzählt unerbittlich Geschichten über große Katzen. Die Fähigkeit, mit Raubtieren zu leben, ist für jeden Naturschutzfotografen unabdingbar.“

Noch andere?
„Charlie Hamilton James – er liebt die Technologie und zeigt uns das Unsichtbare. Gleichzeitig spiegelt sich die Mission des Naturschutzes in seinen Geschichten wider. Ein weiterer ist Brian Skerry, der in seinen Meeresfotos einen drastischen Naturschutz vermittelt. Seine Aufnahmen bringen uns zum Nachdenken und können uns dazu bewegen, unser Verhalten zu ändern. Alle drei Fotografen obliegen zu sehr meiner Kontrolle, als dass sie meine Regel der vollständigen Offenlegung nicht befolgen würden. Der Gruppenzwang kann eine treibende Kraft sein.“

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Verfasst von Keith Wilson